Veröffentlicht: 6. Juli 2013
Das Innenleben der Geheimdienste
Wenn man etwas über das Innenleben eines Geheimdienstes, über das Selbstverständnis seiner Mitarbeiter und das Verständnis der Mission, die zu haben ein solcher Dienst für sich beansprucht, ist das Buch Spycatcher. Enthüllungen aus dem Secret Service von Peter Wright die richtige Lektüre.
Das liegt daran, daß es einerseits von Peter Wright als einem absoluten Insider erzählt wurde, der fast vierzig Jahre für einen der ältesten, berühmtesten und effizientesten Geheimdienste der Welt, den MI5, in führender Position als Agentenjäger arbeitete. Aufgeschrieben wurde Wrights Bericht von Paul Greengrass, einem Schriftsteller und bekannten Regisseur (u.a. "Bourne Verschwörung" und "Bourne Ultimatum"). Andererseits erzählt Peter Wright in wohltuendem Gegensatz zu vergleichbaren Büchern aus dem deutschen Sprachraum angenehm unprätentiös und uneitel, der Begriff "Enthüllungen" rutschte erst den deutschen Übersetzern in den Titel, im Original heißt das Buch unspektakulär "Spycatcher: The Candid Autobiography of a Senior Intelligence Officer". Wright moralisiert nicht, er nervt den Leser nicht mit ideologischen Grundsatzerörterungen und er zeigt mit keinem einzigen Wort das Bedürfnis, sich nach dem Ausstieg aus dem MI5 nun als geläutert profilieren zu müssen, was Markus Wolfs Autobiografie "Spionagechef im geheimen Krieg" - so interessant sie dessen ungeachtet ist - schwer lesbar macht. Gleichzeitig stimmt das Buch ein bisschen wehmütig, denn es berichtet aus einer Zeit, als Agenten - zumindest einige von ihnen - noch Persönlichkeiten waren, auf jeden Fall keine megalomanischen Spinner, die in Raumschiff-Enterprise-Kulissen (Memento) ihre idiotischen Spielchen spielen, seit Jahren ein gigantisches Sammelsurium reinen Wahnsinns produzieren und am Ende ihr Insiderwissen verhökern.
Doch nun zu "Spycatcher". Die Darstellungen zum MfS einerseits und denen zur Organisation Gehlen und zum BND andererseits kennzeichnet in erster Linie ein völlig überzogener und aufgeblasener Bedeutungshorizont. Peter Wright hingegen zeigt an etlichen Stellen im Buch den grotesken und teilweise lächerlich anmaßenden Aspekt im Innenleben der Geheimdienste auf. Beispielhaft seinen zwei Passagen zitiert.


Effizienz schien nicht die Stärke der Dienste gewesen zu sein.
Ein anderer, für die Mitarbeiter der Dienste offensichtlich ziemlich wichtiger Aspekt hingegen wird in deutschen Darstellungen, aber auch in Serien wie "24", komplett unterschlagen - der Job als Agent und Agentenjäger war nicht zuletzt auch ein Riesengaudi für die Geheimdienstler - und ist es vermutlich auch heute noch.
Aber lustig war es immerhin.
"Gut, daß wir unsere Schuhe ausgezogen haben", meinte Winterborn trocken, während Gelächter durch das leere Gebäude dröhnte.
Pleiten, Pech und Pannen - Peter Wright erzählt ausführlich und fast genüßlich auch von diesem dritten Aspekt, der meist unterschlagen wird.
[...]
Eines Nachmittags wurde die Abteilung A2 vom MI6 telefonisch um Hilfe gebeten. Die Suchgruppe des MI6 hatte offensichtlich die Stockwerke des Apartmentgebäudes, in dem ihr Opfer eingeschlossen war, falsch gezählt. Sie öffneten das Schloß der Wohnung im Stockwerk darüber und gingen daran, sich den Mann vorzunehmen, den sie drinnen vorfanden. Er beteuerte natürlich seine Unschuld, aber da die Suchenden glaubten, dies sei ein Teil der List, erinnerten sie sich an das, was im Ausbildungsbuch des MI6 unter dem Kapitel "Überredungskunst" stand und gingen zu Werk, wie das nur begeisterte Amateure können. Als sie fertig waren, war der Mann splitterfasernackt und sang wie ein Vogel. Er war ein Juwelendieb, der kürzlich reiche Beute gemacht hatte. Er gab die noch in seinem Besitz befindlichen Klunker offensichtlich in dem Glauben heraus, daß seine Bezwinger Besucher aus der rachegierigen Unterwelt waren.
Der vierte Gesichtspunkt, der gerne unterschlagen wird, ist die Illoyalität der Dienste gegenüber ihren Mitarbeitern und Agenten, und zwar besonders dann, wenn sie den Dienst quittiert haben. Allerdings war das MfS, wenn man den diesbezüglichen Berichten glauben kann, da eine Ausnahme, das Ministerium kümmerte sich fast fürsorglich um seine Ex-Agenten und -Mitarbeiter, solange sie nicht als Verräter galten. Doch denen gegenüber waren und sind alle Dienste der Welt wenig verständnisvoll und oft noch weniger zimperlich.
Trotz der äußeren Umstände war Ustinov über meinen Besuch erfreut. Er war bis in die Fingerspitzen ein Spieler des großen Spieles geblieben. Eine Flasche Wodka und zwei Gläser wurden gebracht, und er begann sich in die Pläne zu vertiefen, die ich mitgebracht hatte. [...] Als der Wodka wirkte, begannen wir über frühere Zeiten zu sprechen. Er war ein alter Mann, aber sein Gedächtnis war taufrisch. Tränen liefen ihm über die Wangen, als er mir erzählte, was er und zu Putlitz für Großbritannien getan hatten. Schließlich war es mit seiner Zurückhaltung vorbei.
"Ich habe das alles gemacht, Peter, aber sie lassen mich hier sitzen. Meine Frau und mich ... ohne einen Penny."
"Aber wie steht es mit Ihrer Pension?" fragte ich.
"Pension? Ich erhalte keine Pension", gab er erbittert zurück. "Wenn man für sie arbeitet, denkt man nicht an die Zukunft, an das Alter. Man macht es aus Überzeugung. Und wenn die Zeit zum Sterben kommt, lassen sie einen im Stich."
Ich saß stumm da. Es schien fast unglaublich, daß dieser Mann unter solchen Umständen leben mußte, beinahe zum Betteln gezwungen. Ich wollte ihn fragen, warum ihn Churchill und Vansittart vergessen hatten, aber ich fühlte, daß ihn das nur noch mehr verletzen würde. Ustinov trank und faßte sich.
"Aber es hat Spaß gemacht", sagte er schließlich. Mit zitternder Hand goß er sich einen neuen Wodka ein. Es herrschte einen Augenblick Schweigen, dann begann er wieder zu sprechen.
"Mein Junge. Er ist Schauspieler." Er zeigte auf ein Bild des jungen Peter auf dem Kaminsims. "Haben Sie Kinder, Peter?" Ich erzählte ihm, daß ich drei hätte. Zwei Mädchen und einen kleinen Jungen.
"Raten Sie ihnen, nicht einzutreten", sagte er ruhig. "Ich möchte) nicht, daß sich mein Junge an diesem Spiel beteiligt. Die Herren leiten das Geschäft, und Herren haben ein kurzes Gedächtnis ..."


Hier eine sehr interessante Passage im Kontext zur Schwarzen Internationale - Peter Wright erzählt von Victor Rothschild und seinen Verbindungen in die Gesellschaft des Vereinigten Königreichs zu jener Zeit.
Ich bezweifle, daß ich je einen Mann kennengelernt habe, der mich so sehr beeindruckte wie Victor Rothschild. Er war ein glänzender Wissenschaftler, Mitglied der Royal Society mit großem Wissen in Botanik und Zoologie, und seine besondere Vorliebe galt der Struktur von Spermatozoen. Aber er ist wesentlich mehr als ein Wissenschaftler gewesen. Seine Verbindungen in Politik, Geheimdienst, Bankwesen, öffentlichem Dienst und im Ausland sind legendär. Es gibt nur wenige Fäden in der nahtlosen Robe der britischen Oberschicht, die nicht irgendwann durch das Öhr von Rothschilds Nadel gegangen sind.
Rothschild war fasziniert von meinen Plänen für die Modernisierung des MI5 auf wissenschaftlicher Basis und bot mir viele seiner eigenen Vorschläge an. Ich erkannte bald, daß er an Gerüchten und Intrigen der geheimen Welt ungemein interessiert war, und wir tauschten Geschichten über einige der absonderlicheren Kollegen aus, die er aus der Kriegszeit in Erinnerung hatte. Wir sprachen bis spät in die Nacht, und ich verließ ihn mit dem Gefühl, daß mit seiner Rückendeckung große Leistungen möglich waren.
Rothschild bot an, dem MI5 einige seiner Shell-Labors zur Verfügung zu stellen, und er begann die Arbeit an einer Vielfalt von technischen Neuerungen, insbesondere einem speziellen Fett, das Anlagen schützte, die lange Zeiträume eingegraben wurden. Das Fett wurde entwickelt, und MI5 sowie MI6 verwendeten es in großem Umfang. Rothschild schlug auch vor, daß ich an Sir William Cook, damals stellvertretender Leiter des Atomwaffenforschungsinstituts (AWRE), mit der Bitte um Mittel herantrat. Ich kannte Cook, aber Rothschild war ein guter Freund von ihm, und seine zeitlich abgestimmte Fürsprache erleichterte meinen Besuch erheblich.

Zum Abschluß zitiere ich einen Abschnitt, in dem Peter Wright über seine Begegnung mit Tom Driberg berichtet. Diese Passage dürfte als Ergänzung zu dem Buch "Aleister Crowley und die Versuchung der Politik" von Marco Pasi für all jene interessant sein, die sich ernsthaft mit Crowleys Leben und Wirken beschäftigen.
Seit den sechziger Jahren war eine Unmenge von Material über die Unterwanderung der beiden zuletzt genannten Körperschaften in die Akten des MI5 geflossen, vor allem durch die beiden tschechoslowakischen Überläufer Frolik und August. Sie bezeichneten eine Reihe von Labour-Politikern und Gewerkschaftsführern als Ostblockagenten. Einige waren sicher wohlbegründet, so der Fall des Parlamentsmitgliedes Will Owen. Er gab zu, in einem Zeitraum von zehn Jahren Tausende von Pfund für die Weitergabe von Informationen an tschechoslowakische Geheimdienstoffiziere erhalten zu haben. Und doch wurde er 1970 vor Gericht freigesprochen. Es wurde betont, er hätte keinen Zugang zu Geheiminformationen gehabt. Außerdem konnte der Überläufer aus der CSSR keine Urkundenbeweise für seine Behauptungen vorlegen.
Tom Driberg war ein weiteres von den beiden Überläufern benanntes Parlamentsmitglied. Ich traf mich mit Driberg, und er gab schließlich zu, gegen Bezahlung Material an einen CSSR-Führungsoffizier geliefert zu haben. Eine Zeitlang führten wir Driberg weiter, aber außer einer Unzahl schlüpfriger Einzelheiten über Kavaliersdelikte innerhalb der Labour Party hatte er nichts Interessantes für uns.
Seine einzige nachhaltige Geschichte betraf einen Minister, dem er seine Wohnung für eine diskrete Liebesaffäre zur Verfügung gestellt hatte. Driberg war entschlossen, die Identität der Frau herauszufinden, die die Gunst des Ministers genoß. Eines Abends, nachdem der Minister gegangen war, durchsuchte er die Wohnung und fand einen an ein prominentes weibliches Mitglied der Labour Party adressierten Brief. Driberg behauptete, von seiner Entdeckung entsetzt gewesen zu sein, den Minister darauf angesprochen und ihm zu mehr Vorsicht geraten zu haben. Da Driberg diese Geschichte mit Sicherheit an seine tschechoslowakischen Freunde lieferte, wirkte seine Sorge um die Privatsphäre der Labour Party mehr als aufgesetzt.



Hier dieselbe Passage im englischen Original:
Since the 1960s a wealth of material about the penetration of the latter two bodies had been flowing into MI5's files, principally from two Czechoslovakian defectors named Frolik and August. They named a series of Labor Party politicians and trade union leaders as Eastern Bloc agents. Some were certainly well founded, like the case of the MP Will Owen, who admitted being paid thousands of pounds over a ten-year period to provide information to Czechoslovakian intelligence officers, and yet, when he was prosecuted in 1970, was acquitted because it was held that he had not had access to classified information, and because the Czech defector could not produce documentary evidence of what he had said at the trial.
Tom Driberg was another MP named by the Czech defectors. I went to see Driberg myself, and he finally admitted that he was providing material to a Czech controller for money. For a while we ran Driberg on, but apart from picking up a mass of salacious detail about Labor Party peccadilloes, he had nothing of interest for us.
His only lasting story concerned the time he lent a Cabinet Minister his flat so that the Minister could try and conduct an affair in strict privacy. Driberg was determined to find the identity of the woman who was the recipient of the Minister's favors, and one evening after the Minister had vacated, he searched the flat and found a letter addressed to a prominent female member of the Labor Party. Driberg claimed to be horrified by his discovery and raised it with the Minister concerned, suggesting that he ought to be more careful in case word of his activities ever became public! Since Driberg was certainly providing the same stories to his Czech friends, his concern for Labor Party confidentiality seemed hollow, to say the least.
Peter Wright, Paul Greengrass: Spycatcher. Enthüllungen aus dem Secret Service. Ullstein Tb 1989, ISBN-13: 978-3548344867
http://www.amazon.de/Spycatcher...
Weiterführende Links zu Peter Wright und seinem Buch:
https://en.wikipedia.org/wiki/Peter_Wright_(MI5_officer)
https://en.wikipedia.org/wiki/Spycatcher
https://spartacus-educational.com/SSwright.htm
http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/216868.stm (scrollen)